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Rezensionen
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Wissenschaften

Wir sind das Klima! Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können

Autor*in:Jonathan Safran Foer
Verlag:Kiepenheuer und Witsch, Köln 2019, 325 Seiten
Rezensent*in:Gerald Mackenthun
Datum:26.11.2024

Der amerikanische Bestsellerautor Jonathan S. Foer legte 2012 mit dem Buch Tiere essen eine fulminante Kritik der Massentierhaltung und des Fleischkonsums vor. Seine Forderung nach drastischer Reduzierung des Fleischverzehrs begründete er damals mit dem Schutz der Tiere und dem Tierwohl. 2019 griff er das Thema Konsum tierischer Produkte erneut auf und verknüpfte es mit der Klimaerwärmung. Das Buch mit dem Titel Wir sind das Klima! ist zugleich eine radikale Auseinandersetzung mit der Diskrepanz zwischen dem angeblichen Untergang der Menschheit und dem offensichtlichen Unwillen dieser Menschheit, darauf angemessen zu reagieren.

Außergewöhnlich an diesem Buch ist, wie Foer seine eigene Lebensweise mit diesem Missverhältnis konfrontiert. Der Autor nimmt ja an der unersättlichen Lebensweise teil, von der er weiß, „dass sie unseren Planeten zerstört“ (S. 34). Er ist schockiert über die Umweltnachrichten, aber nie lang genug, um Konsequenzen zu ziehen. Sein Baseballteam aus seiner alten Heimatstadt Washington interessiert ihn mehr. Er sei kein Klimawandelleugner, doch er benehme sich wie einer (S. 40).

Die Massentierhaltung spielt durch Methan und Stickoxid eine entscheidende Rolle für die Klimaerwärmung. Beim Verdauen produzieren Rinder, Ziegen und Schafe eine beträchtliche Menge Methan. Stickstoffe werden durch Urin und Kot und dem beim Anbau von Futterpflanzen verwendeten Dünger abgegeben. Das taucht in den Debatten nur am Rande auf. Die Daten darüber, wie schädlich die Massentierhaltung über den Umweg der Waldrodung ist, gehen stark auseinander. Doch egal, was die Zahlen sagen, eine nachhaltige Reduktion des Konsums von Fleisch und anderen tierischen Produkten sei ein starker Hebel, um die Klimaerwärmung zu bremsen. Hier könne der Einzelne viel bewirken. Foers Formel lautet: Nur noch einmal am Tag zur Hauptmahlzeit tierische Produkte zu sich nehmen. Das führt zu dem etwas aufreizenden Untertitel, schon beim Frühstück die Welt zu retten.

Foer kennt nur zu gut den psychischen Mechanismus der Verdrängung und Verleugnung. Der Klimawandel ist nicht wirklich greifbar. Und wie soll ein Einzelner das globale Klima verändern? Es stellen sich Gefühle der Überforderung, der Machtlosigkeit und der Resignation ein. Die wenigsten wissen, was zu tun wäre. Ein Elektroauto fahren beruhigt das Gewissen, ist aber für das angestrebte Ziel der Klimastabilisierung wirkungslos. Und was die Tierprodukte angeht, sie schmecken einfach gut.

Konkreter als bisher benennt Foer die Konsequenzen, die sich ergeben, nimmt man die Klimaerwärmung ernst: „Die vier wirksamsten Maßnahmen gegen den Klimawandel, die der Einzelne ergreifen kann, sind: pflanzlich ernähren, Flugreisen vermeiden, auf ein Auto verzichten, weniger Kinder kriegen“ (S. 114). Hinzu müssen kommen: weniger Lebensmittel verschwenden, Mädchen Zugang zu Bildung verschaffen und Frauen Familienplanung ermöglichen.

Man kann die Hoffnung verlieren, wenn man sich klarmacht, dass in den nächsten 30 Jahren die Erdbevölkerung voraussichtlich um 2,3 Milliarden Menschen anwachsen wird und man eine Verdreifachung des globalen Einkommens erwartet, was bedeutet, dass sehr viel mehr Menschen es sich werden leisten können, tierische Produkte zu konsumieren. Kann man die Welt durch individuelle Verbraucherentscheidungen retten? Foer bejaht dies. Der freie Wille ist nicht omnipotent, aber die meisten Menschen haben Wahlmöglichkeiten.

Der frühere amerikanische Vizepräsident Al Gore widmete sich nach seinem Ausscheiden aus dem Amt dem Umweltschutz und produzierte einen höchst wirkungsvollen Film mit dem Titel Eine unbequeme Wahrheit. Foer war davon zunächst begeistert, bis ihm auffiel, dass Gores Film die Bedrohung durch die Massentierhaltung verkannte. So erstaunt Foer über Gore war, so erstaunt muss der Leser über Foers Fokus auf die Nutztierhaltung sein. Der Einfluss und die Bedeutung der stetig wachsenden Weltbevölkerung für die Klimaerwärmung werden von ihm nicht thematisiert. Es ist das eine, auf tierische Produkte zu verzichten, es ist etwas anderes, für eine niedrige Geburtenrate und für freien Zugang zu Verhütungsmitteln zu plädieren, ganz abgesehen von den Frauenrechten, die damit zusammenhängen.

Wir sind das Klima! ist dennoch ein exzellent recherchiertes Sachbuch mit manchmal etwas langatmigen autobiografischen Anteilen. Die Frage, was Vorrang haben sollte: politisches oder persönliches Handeln, stellt Foer nicht. Er konzentriert sich ganz auf die Gedanken und Ausflüchte des moralisch gequälten Einzelnen. Dass er die politische Ebene konsequent ausklammert, hat ihm einige Kritik eingebracht. Aber es ist sein entschiedenes Bestreben, den Einzelnen nicht aus seiner Verantwortung zu entlassen und ihm nicht den Ausweg zu gönnen, auf „die Politik“ zu warten und zu hoffen.