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Rezensionen
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Wissenschaften

Die Metamorphose der Welt

Autor*in:Ulrich Beck
Verlag:Suhrkamp Verlag, Berlin 2016, 267 Seiten
Rezensent*in:Gerald Mackenthun
Datum:31.12.2016

In seinem Buch Die Risikogesellschaft aus dem Jahre 1986 konstatierte der Münchner Soziologe Ulrich Beck ein Versagen von Wissenschaft und Technik angesichts wachsender Umweltrisiken. Dabei ging er, wie viele andere damals, von einer enorm gesteigerten Bedrohung aus. Immer mehr Katastrophen und eine stetig zunehmende Umweltverschmutzung würden Menschen, Tiere und Pflanzen immer stärker gefährden.

Die Gefahren, die man in den achtziger Jahren für besonders gravierend hielt, hießen Waldsterben, Atomkraft und Ressourcenverknappung. Heute weiß man: Zwei davon existierten gar nicht. Die Wälder in Europa dehnten sich im Jahrzehnt der allgemeinen Waldpanik aus. Seit Ende der achtziger Jahre stehen der Menschheit mehr und preiswertere Bodenschätze zur Verfügung. Die dritte Hauptgefahr, Kernkraft, wurde und wird nach wie vor hochgradig übertrieben. Die Folgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und Fukushima erwiesen sich in Deutschland als gesundheitlich völlig irrelevant und in der Ukraine, Weißrussland und Ost-Japan als um Potenzen geringer als von der Umweltlobby behauptet. Wir leben immer länger, unsere Atemluft wird reiner, unsere Flüsse sauberer, unsere Autos sicherer. Die Bevölkerungszahl steigt, weil immer mehr Menschen in gesunden Umgebungen aufwachsen, die Lebenserwartung – gemessen in Jahren und Monaten – steigt weiter, und der Mittelstand, gemessen am Lebensstandard und am Einkommen, hat sich global gesehen enorm vergrößert.

Ulrich Beck hat sich in den Folgejahrzehnten weiter mit dem globalen Wandel beschäftigt, wobei das angeblich steigende Lebensrisiko für die Weltbevölkerung den kontinuierlichen Grundton seiner soziologischen Analyse abgibt. So auch in seinem letzten Buch, das postum 2016 erschienene Werk Die Metamorphose der Welt (Suhrkamp Verlag, Berlin).

Beck tritt auch in seinem Alterswerk mit großem Anspruch auf. Er möchte die Gegenwart auf einen neuen Begriff bringen. Dieser lautet „Metamorphose der Welt“. Damit würden frühere Konzepte wie Evolution, Revolution und Transformation in den Schatten gestellt. Die drei letztgenannten Begriffe würden nämlich implizieren, dass sich manches ändere, vieles aber auch gleich bleibe. Das Wort „Metamorphose“ beinhaltet nach Beck eine weitaus radikalere Veränderung. Die ewigen Gewissheiten moderner Gesellschaften würden wegbrechen, und etwas ganz und gar Neues trete auf den Plan. Dieses Neue will er beschreiben.

Beck versucht sein Metamorphosen-Konzept an vielen Beispielen zu exemplifizieren. Er macht sie vor allem am Klimawandel fest. Leben wir in Zeiten einer Klima-Metamorphose, eines ganz und gar anderen Klimageschehens? Gab es nicht schon immer lokales Wetter und globales Klima? Die Sorge um eine globale Erhöhung der mittleren Temperatur hat zu globalen Anstrengungen geführt, durch eine Begrenzung des Kohlendioxid-Ausstoßes die Erderwärmung zu begrenzen. Und stimmt denn auch die zweite These, dass nämlich mit der scheinbar globalen Bedrohung und der Reaktion darauf, dem global koordinierten Handeln, sich „die Art und Weise unseres In-der-Welt-Seins bereits verändert“ hat? Dem Augenschein nach leben die meisten Menschen weiter wie bisher. Die Steigerung des Konsums für immer mehr Menschen scheint ein nicht aufhebbares ökonomisches Gesetz zu sein.

Metamorphose bedeutet für Beck, dass das gestern Undenkbare heute nicht nur möglich, sondern längst Realität geworden ist. Weitere sehr unterschiedliche Beispiele sind der Mauerfall, die Terroranschläge des 11. September, die „katastrophalen Klimawandelfolgen“, die Finanzmarkt- und Euro-Krise, die Reaktorkatastrophe in Fukushima, die Enthüllungen von Edward Snowden über eine weltweit hegemoniale Datenkontrolle durch die USA, aber auch die Fortpflanzungsmedizin, die Pluralität der Mutterrollen, die Veränderungen im Geschlechterverhältnis, der globale Organhandel, die globale Ungleichheit und die zwischenstaatlichen Beziehungen. Becks Blickwinkel ist dabei durchgehend negativ. Es werden von ihm nur die tatsächlich oder scheinbar schlechten Nebenfolgen der Moderne betrachtet. Die Freiheitsgewinne für Millionen von Menschen in vielen Staaten fallen bei ihm nicht ins Gewicht.

An dieser Stelle verdüstert sich Becks Blick auf die Welt und wird pessimistisch. Huldigt er einem Katastrophismus? Die Vorteile der weltweiten Datenkommunikation werden nicht gegen ihre Risiken abgewogen. Die Verletzung des Datengeheimnisses des Normalbürgers ist doch eher eine hypothetische und immaterielle Bedrohung. Der Terrorismus ist im Prinzip keine Gefahr für Leib und Leben; die allermeisten Menschen zumindest in der westlichen Welt leben davon (noch) weitgehend unbehelligt. Das Atomrisiko ist praktisch nicht existent. Wie Beck richtig schreibt: „Wir spüren nichts, werden nicht krank, stapfen nicht durch überflutete Keller und Wohnungen, gehen weder unserer Chancen auf dem Arbeitsmarkt noch des Guthabens auf unserem Konto verlustig“ (S. 187). Warum dann also die ganze Aufregung?

Für seine Behauptung einer radikalen „Metamorphose“ bietet das Buch keine Belege. Die Reflexionsfähigkeit und -lust des Menschen ist ungebrochen. Überhaupt scheint der Mensch in seinem Wesen eine nicht zu brechende Kontinuität aufzuweisen. Machtgier und Aberglaube lassen die Welt brennen, damals wie heute und in alle Ewigkeit. Gegen diese Erfahrung nimmt sich der Wandel seit den neunziger Jahren nicht gerade spektakulär aus.

Man müsste den Spieß gegen Beck umdrehen: In einem historischen und globalen Vergleichsrahmen fällt eher die Stabilität als die Ausnahme auf. Die ständig neu auf den Markt geworfenen sozialwissenschaftlichen Zeitdiagnosen der vergangenen Jahrzehnte leben von der Behauptung des Wandels und des Neuen. Ihr primäres Anliegen ist die Attraktion medialer Aufmerksamkeit. Becks Spätwerk macht da keine Ausnahme. Seine Theorie bleibt so gesehen „verblüffend konventionell“, schreibt Tobias Werron in einer Rezension in der FAZ (23. Dezember 2016, S. 10). Gibt es nicht viel deutlichere Trends der Moderne wie beispielsweise Bevölkerungswachstum, Umweltverschmutzung, Nationalismus, Terrorismus und religiösen Fanatismus?

Das Interesse des Menschen formt seine Erkenntnis. Das gilt auch für Ulrich Beck, der trotz seiner anfechtbaren Thesen zu den bekanntesten Soziologen Deutschlands zählt. Sein Interesse liegt auf der Linie eines grün-linken Weltverständnisses, für das unter anderem der Umweltschutz zentral wurde. Andere Phänomene werden, auch dies ist ganz menschlich, als nicht so wichtige Nebentrends eingeordnet und folglich unterschätzt. Um solchen Einschränkungen vorzubeugen, müsste man über die deutschen und westlichen Erfahrungen hinausgehen und die Gesamtschau globalisieren. Ist der Kampf gegen Globalisierung und Lufterwärmung wirklich ein weltweites Anliegen? Sind deren Folgen wirklich nur negativ? Und wer, außer einer dünnen intellektuellen Schicht global vernetzter Aktivisten, interessiert sich dafür? Auch Becks letztes Werk lebt mehr von Hypothesen als von Tatsachen.