49
Rezensionen
ITGG Berlin - Rezensionen
#7C9CA4
#C66A13

Wissenschaften

Die blockierte Republik. Deutschland zwischen Vergangenheit und Zukunft

Autor*in:Frank Trentmann
Verlag:S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2025, 288 Seiten
Rezensent*in:Gerald Mackenthun
Datum:15.12.2025

Frank Trentmanns Die blockierte Republik. Deutschland zwischen Vergangenheit und Zukunft ist ein aktuelles politisch-historisches Werk, das sich mit der Gegenwartslage der Bundesrepublik Deutschland auseinandersetzt und mögliche Wege aus der gegenwärtigen Krise aufzeigt. In mehreren Rezensionen seriöser Medien wird das Buch als bedeutender Beitrag zur aktuellen Debatte über Deutschlands politische und gesellschaftliche Zukunft gewürdigt. Zugleich werden Stil und Perspektiven kritisiert.
 
Trentmann, ein deutsch-britischer Historiker mit Professuren in London und Helsinki, beginnt mit der Diagnose einer „blockierten Republik“: Die Bundesrepublik stehe angesichts multipler Krisen – demografische Alterung, Migrationsfragen, Rechtspopulismus, wirtschaftliche Herausforderungen – in einem Zustand kollektiver Lähmung, in dem weder politische Führung noch gesellschaftlicher Konsens tragfähige Lösungen hervorbringen. Dieses Bild korrespondiert mit einem verbreiteten Gefühl von Unzufriedenheit und Pessimismus, wie es auch in Befragungen und politischen Debatten zum Ausdruck kommt.
 
Zentral für Trentmann ist der Blick in die Vergangenheit: Er argumentiert, dass eine verzerrte Erinnerungskultur und Mythen über frühere Erfolge – etwa die Idealisierung des Wirtschaftswunders – den Blick auf aktuelle Herausforderungen verstellen. Indem er historische Krisen und vergleichende Blicke auf andere Gesellschaften heranzieht, will Trentmann relativieren, dass es sich bei den heutigen Problemen um unvergleichliche Zäsuren handele, und stattdessen die Kontinuität komplexer Wandlungsprozesse betonen. Diese historische Einordnung soll helfen, die Angst vor vermeintlich übermächtigen Problemen zu mildern. Deutschland stehe nicht an einem Wendepunkt wie vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten.
 
Trentmann schreibt sachlich und frei von parteipolitischen Taktiken. Er plädiert dafür, Reformen mutiger anzugehen und Pragmatismus über Rückwärtsgewandtheit zu stellen. Das Hauptübel ist ihm die verzagt-verwöhnte Mentalität der Deutschen. Wer wollte dem Autor widersprechen, wenn er Politiker zu einer nüchternen und optimistischen Haltung bewegen möchte? Doch mehr als zu einem Aufruf zu größerer Zuversicht und einer „Überwindung der Blockaden“ reicht es bei ihm nicht.
 
In einer Rezension der Frankfurter Allgemeinen Zeitung meint der Autor Matthias Alexander, Tretschmann versuche, die nationale Schwindsucht mit Homöopathie zu heilen (29.11.25, S. L7). Die Komplexität der Problemlage erfasst er nicht. Mehr noch als die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP ist die Kleine Koalition aus CDU, CSU und SPD innerlich zerrissen. Die linke Sozialdemokratie weiß seit Jahrzehnten nichts anderes zu fordern als höhere Steuern und höhere Staatsausgaben. Der aktuelle Staatshaushalt wird unübersichtlich aufgebläht durch mehrere Sonderverschuldungen. Und dennoch fehlen der Bundesregierung im kommenden Jahr rund 150 Milliarden Euro. Die Bundesrepublik stagniert auch deshalb, weil kein Konsens innerhalb von Parteien, zwischen den Parteien und innerhalb der Bevölkerung gefunden werden kann. Hier liegt meines Erachtens der eigentliche Grund für die innenpolitische Blockade.
 
Trentmann übersieht diesen Faktor, weil er „Politik“ fälschlich als einheitliches Subjekt auffasst. Menschen aber sind uneins. Aus dieser Differenz erst entsteht Politik als Prozess. Die großen internationalen Umwelt- und Klimakonferenzen liefern dafür reichlich Anschauungsmaterial. Die seit drei Jahrzehnten hauptsächlich von den Grünen verantwortete Klimapolitik beruht auf der Illusion einer ökologischen Wende. Die fast emissionsfreie Kernenergie wurde abgeschaltet. Das Beharren auf der Elektromobilität hat China, welches über die dafür nötigen Rohstoffe verfügt, einen starken Vorteil verschafft. Die Automobilindustrie, ein Kernbestandteil von Innovationskraft, ringt ums Überleben.
 
Um die aktuelle Krise zu verstehen, müsste man in jene Jahrzehnte zurückgehen, als eine verfehlte Energiepolitik der Grünen die Preise für Strom in die Höhe trieb. Ein zweiter Punkt ist die überbordende Regulierung auf Bundes-, aber auch auf europäischer Ebene. Alle Regierungen versprechen einen Abbau der Bürokratie. Doch das Gegenteil geschieht. Ebenso unübersichtlich wie der Bundeshaushalt ist der Dschungel von Subventionen und Steuererleichterungen. Ohne Reform der Renten, des Pflegegeldes und der Krankenkassen wird die Abgabenlast weiter steigen. Gegen Reformen stemmt sich aber eine starke sozialpolitische Lobby, die um das kleinste Privileg erbittert streitet. Nicht zuletzt bleibt in dem Buch das Thema Bildung und Chancengleichheit unterbelichtet. Deutschlands Schüler schneiden im internationalen Vergleich immer schlechter ab. Das hat auch mit einer ungeregelten Migration zu tun. Stattdessen beschäftigt er sich ausführlich mit der deutschen Erinnerungskultur, mit dem Völkerrecht und dem Vorgehen Israels im Gazastreifen. Die Rolle der Hamas in dem Konflikt wird kaum beachtet.
 
Das Buch ist anregend, aber letztlich kein fundierter Versuch, die Herausforderungen der Bundesrepublik zu analysieren. Noch weniger zeigt es Perspektiven auf für einen konstruktiven Umgang mit den drängenden Zukunftsfragen. Trentmanns Plädoyer für ein selbstbewussteres, handlungsfähiges Deutschland geht über Appelle auf Sonntagsredenniveau nicht hinaus. Den Mut zur Anerkennung der Realität, den Trentmann von den Politikern fordert, bringt er in seiner Analyse selbst nicht auf.