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Wissenschaften

Der Liberalismus und seine Feinde

Autor*in:Francis Fukuyama
Verlag:Hoffmann und Campe, Hamburg 2022, 220 Seiten
Rezensent*in:Gerald Mackenthun
Datum:15.05.2025

Francis Fukuyama, Professor für Politikwissenschaft an der Stanford-Universität, wurde 1992 weltweit bekannt für seine These vom „Ende der Geschichte“. Nach dem Zusammenbruch des Sowjetregimes schien die liberale Demokratie die einzig verbleibende, annehmbare Zukunftsperspektive für die weitere politische Entwicklung in der Welt zu sein. Heute sieht sich Fukuyama mit einer neuen Realität konfrontiert, die seine frühere Prognose grundsätzlich infrage stellt. In seinem neuen Werk Der Liberalismus und seine Feinde (2022) versucht er, den klassischen Liberalismus gegen Kritik von rechts und links zu verteidigen. Der Liberalismus sei in der heutigen vielfältigen und vernetzten Welt weiterhin notwendig, auch wenn er unter Druck steht.

In zehn Kapiteln geht der Autor auf den klassischen Liberalismus und die Entwicklung zum Neoliberalismus ein, beschäftigt sich mit dem „selbstsüchtigen und selbstbestimmten“ Individuum und wie der Liberalismus sich gegen sich selbst wendet. Weitere Themen sind Kritik an der Rationalität, Plädoyers für Technologie, Privatsphäre und Redefreiheit sowie Überlegungen zu nationaler Identität und Prinzipien einer liberalen Gesellschaft.

Fukuyamas Verteidigung bringt keine wirklich neuen Ideen. Die Geschichte des Liberalismus wurde oft erzählt, die Angriffe gegen diese weit verbreitete Politik-, Wirtschafts- und Gesellschaftsform kann man täglich in der Zeitung lesen. Sein Plädoyer für Liberalismus wirkt defensiv und wenig inspirierend. Er listet zahlreiche Kritikpunkte am Liberalismus auf, darunter Vorwürfe des Konsumismus, der sozialen Ungerechtigkeit und der Dominanz manipulativer Eliten. Seine Vorschläge zur Erneuerung des Liberalismus – wie die Betonung von Mäßigung, Föderalismus und individueller Privatsphäre – erscheinen naheliegend und sympathisch, aber ob sie dem Liberalismus zu alter Stärke wie zum Ende des 20. Jahrhunderts verhelfen können, ist eher fraglich.

Ein zentraler Punkt ist Fukuyamas Umgang mit dem Neoliberalismus. Er betrachtet ihn als eine Fehlentwicklung des Liberalismus, die zu sozialer Ungleichheit und Instabilität geführt hat. Er übernimmt den Begriff, wie er von der konservativen Rechten und der progressiven Linken verwendet wird: „Neoliberalismus“ ist in deren Verständnis die Rückkehr zu einem reinen Wirtschaftsliberalismus mit weitgehendem Verzicht auf staatliche Regulierung. Tatsächlich entstand der Neoliberalismus vor gut 100 Jahren in Reaktion auf die wirtschaftlichen Verwerfungen nach dem Ersten Weltkrieg. Damals wurde klar, dass der Staat soziale Unterstützungsprogramme auflegen müsse, um das weitverbreitete Elend des Proletariats zu mildern. Das war das „Neue“ am politischen Liberalismus.

Während Fukuyama einige Argumente der Kritiker anerkennt, vermag er dennoch nicht, überzeugende Lösungen für die sozialen und moralischen Defizite heutiger liberaler Gesellschaften zu präsentieren. Seine Visionen bleiben abstrakt und bieten wenig praktische Ansätze zur Besänftigung einer weitverbreiteten Liberalismus-, Parteien- und Politikverdrossenheit.

Fukuyamas Buch ist stark auf die amerikanische Entwicklung konzentriert; globale Perspektiven werden kaum gestreift. Zeigt sich nicht auch darin eine Schwäche des Liberalismus? Der Autor skizziert die Geschichte des Liberalismus und betont noch einmal viele Wahrheiten der liberalen Ideologie, vor allem die, dass der liberale Individualismus die Diversität unten den Menschen fördert, was im unauflösbaren Widerspruch zu den aktuellen Gleichheitsforderungen steht. 

Fukuyamas „Ende der Geschichte“ war eine überaus optimistische Zeitdiagnose für den liberalen Westen. Seit zwei bis drei Jahrzehnten nimmt die Zahl antiliberaler Regimes zu. Hat der Liberalismus seinen Zenit überschritten? Flüchten sich immer mehr Menschen in die Sicherheit versprechenden Nationalismen? Fukuyamas Optimismus bezüglich des Liberalismus ist einer defensiven Haltung gewichen. Seine Vorschläge zur Erneuerung des Liberalismus bleiben blass und sind wenig überzeugend. Das ist umso bedauerlicher, als die autokratischen Regimes und der linke Hypermoralismus keine Alternative zum freiheitlichen Liberalismus darstellen.