Das Anti-Krebsbuch
Autor*in: | David Servan-Schreiber |
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Verlag: | Goldmann Verlag, München 2010, 352 Seiten |
Rezensent*in: | Peter Schönherr |
Datum: | 27.09.2012 |
Der Autor, Neurowissenschaftler und Psychiater, ist selbst Betroffener. Im Alter von 31 Jahren an einem besonders bösartigen Gehirntumor erkrankt und schulmedizinisch therapiert, erleidet er nach fünfjähriger Remission einen Rückfall. Daraufhin recherchiert er selbst, um das Phänomen Krebs grundlegender und umfassender wissenschaftlich zu erforschen. Er verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, studiert relevante Langzeitstudien und sucht über die schulmedizinische Behandlung hinaus nach weiteren Interventionsmöglichkeiten, um sein eigenes Leben zu erhalten und alles zu vermeiden, was seine Krebszellen erneut mobilisieren und zum Wachstum anregen könnte.
Zunächst setzt sich der Autor mit Vorurteilen auseinander, die die innere Bereitschaft zur konkreten Bekämpfung von Krebs entscheidend schwächen könnten und die Erkrankten in Depression und Hoffnungslosigkeit verfallen lassen. Nach seiner Schlussfolgerung hängt der enorme Anstieg von Krebserkrankungen seit 1940 nicht vorwiegend mit der älter werdenden Bevölkerung zusammen. Auch hat nach seinen Recherchen die genetische Veranlagung in Bezug auf Krebs bei weitem nicht die Relevanz, wie bisher angenommen. Diese These wird durch eine dänische Studie belegt, die in diesem Zusammenhang Adoptivkinder mit ihren leiblichen sowie ihren späteren neuen Eltern untersucht.
Für Servan-Schreiber ergibt sich hauptsächlich unsere Lebensweise als Ursache für den Anstieg der Krebsrate. Es zeigt sich insbesondere, dass Krebs vorwiegend die Krankheit der reichen westlichen Industrienationen ist. Erstaunlicherweise treten Krebserkrankungen im asiatischen Raum bis zu neunmal seltener auf als in Nordamerika oder Westeuropa. Mit Sicherheit sind nicht die asiatischen Gene ursächlich dafür verantwortlich, weil demgegenüber die Krebsrate der Chinesen und Japaner auf Hawaii oder in China Town von San Francisco schon fast der westlichen Rate entspricht und dadurch eher auf die angepassten Lebensgewohnheiten hinweist.
Servan-Schreiber beschreibt zwei grundlegende Eigenschaften der bösartigen Tumore. So hängt die Entwicklung von Krebszellen ganz besonders mit Entzündungsvorgängen und mit der Bildung von neuen, versorgenden Blutgefäßen zusammen. Der menschliche Körper ist durch sein Immunsystem imstande, verletztes Gewebe zu reparieren. Bei diesem komplexen Vorgang treten zunächst weiße Blutkörperchen in Aktion, indem sie verschiedene Botenstoffe produzieren, die die Blutgefäße anfänglich weiten, um den Zufluß von weiteren weißen Blutkörperchen als Verstärkung zu ermöglichen. Darüber hinaus wird die Wunde durch Blutgerinnung abgedichtet, und schließlich werden die beschädigten Gewebezellen zum Wachstum angeregt, was die eigentliche Reparatur darstellt. Diese Regeneration der Zellen ist mit der Bildung feinster Blutgefäße zur Versorgung der betreffenden Zellen verbunden. Das Entscheidende ist nun, dass dieses Zellwachstum nach erfolgter Reparatur wieder zum Stillstand kommen muß, also quasi in den Standby-Modus zurückkehren muß. Durch diese sogenannte Apoptose wird eine Überproduktion von Gewebe verhindert. Krebszellen verhalten sich aber leider nicht normal, sondern wie ein trojanisches Pferd: Die Krebszelle täuscht dem Immunsystem durch entsprechende Botenstoffe eine Entzündung vor, hemmt somit die natürliche Apoptose und fördert die Bildung weiterer Blutgefäße zur Versorgung. Damit wird die bekannte Aussage „Tumore sind wie Wunden, die nicht heilen“ nachvollziehbar.
Die Frage ist nun: Was läuft bei den westlichen Industrienationen mit ihren hohen Krebsraten aus dem Ruder? Für Servan-Schreiber ergaben sich im Wesentlichen drei Einflußfaktoren, durch die Krebs individuell positiv beeinflußbar wäre: Diese sind regelmäßige Bewegung, psychische Ausgeglichenheit und vor allem die Ernährung.
Besonders zwei Ernährungsgewohnheiten fallen in den westlichen Industrienationen vollkommen aus dem Rahmen: Es ist der übermäßige Verzehr von tierischen Produkten wie Fleisch bzw. ungünstigen Fettsäuren sowie die Steigerung des Konsums von raffiniertem Zucker auf das 14-fache seit 1830. Seit 1930 ist bekannt, dass der Stoffwechsel bösartiger Tumore intensiv auf den Verbrauch von Glukose als einer Form des verdauten Zuckers angewiesen ist. Zucker, Weißmehlprodukte und ähnliche isolierte Kohlenhydrate bewirken jedoch eine hohe Insulinausschüttung, die begleitet ist mit der Freisetzung eines weiteren Hormons, welches das Zellwachstum anregt und zusätzlich Entzündungsfaktoren stimuliert. Der Autor bringt es auf den Punkt, wenn er Glukose als den entscheidenden Wachstumsbeschleuniger maligner Tumore bezeichnet.
Etwas komplizierter und eventuell nicht so bekannt sind die Zusammenhänge zwischen Krebswachstum und tierischen Produkten in der Ernährung. Allein die Tatsache, dass der jährliche Konsum von Fleisch bei einem Inder ca. 5kg und bei einem durchschnittlichen Amerikaner fast das 25-fache, d.h. 123 kg beträgt, ist alarmierend. Nach der Einschätzung des Autors steht dabei insbesondere das Wirkungsverhältnis der essenziellen Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren, die vom menschlichen Organismus nicht selbst gebildet werden können, im Vordergrund des Interesses. Das physiologische Gleichgewicht ist aber enorm abhängig von einem ausgewogenen Verhältnis dieser nur durch die Nahrung aufnehmbaren Fettsäuren. Omega-3-Fettsäuren machen die Zellmembranen elastischer, hemmen Entzündungen sowie die Bildung von Fettzellen. Omega-6-Fettsäuren hingegen begünstigen die Fetteinlagerung sowie das Zellwachstum und beeinflussen Gerinnungs- und Entzündungsvorgänge. Beide Fettsäuren haben nützliche Funktionen. Problematisch wird allerdings ein Zuviel an Omega-6-Fettsäuren insofern, als sie zur Verbreitung von Krebs beitragen. Der Anteil an Omega-6-Fettsäuren in tierischen Produkten hat gerade in den vergangenen 50 Jahren dramatisch zugenommen.
Dieser Hintergrund wird am Beispiel der heutigen Rinderhaltung deutlich: Kühe sind von Natur aus Weidetiere. Gerade im Frühjahr ist das frische Gras reich an Omega-3-Fettsäuren. Wenn die Kuh auf der Weide war, gibt sie uns diese Omega-3-Fettsäuren reichhaltig durch ihre Milch einschließlich der daraus hergestellten Produkte sowie ihr Fleisch weiter. Leider wird in der heutigen Zeit infolge der hohen Milchnachfrage vorwiegend eine Intensivwirtschaft betrieben, bei der hauptsächlich Mais, Soja, Weizen und ähnliche Getreidesorten verfüttert werden, die reich an Omega-6-Fettsäuren sind. Um sich das in Zahlen vorstellen zu können, sei erwähnt, dass bei Weidewirtschaft das Verhältnis Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren etwa 1:1 beträgt, während durch Mais- und Sojafütterung sich ein Mißverhältnis von bis zu 1:40 ergeben kann. Hinzu kommt als negativer Nebeneffekt, dass die konjugierte Linolsäure als speziell krebsschutzwirkende Fettsäure in Produkten tierischer Herkunft bei Mais-Soja-Fütterung wesentlich geringer ist als bei Produkten aus Weidewirtschaft. Das Fazit ist eindeutig, wenn der Autor die Intensivtierhaltung mit all seinen weiteren negativen Facetten wie z.B. Hormonzugaben anprangert.
Zusammenfassend konstatiert der Autor, dass alles, was Entzündungen hemmt, günstig ist, um Krebs im Zaume zu halten oder diesen ganz zu vermeiden. Aufgrund ihrer extremen Nebenwirkungen schätzt der Autor medikamentöse Entzündungshemmer längerfristig als problematisch ein und sucht nach nebenwirkungsfreien Wirkstoffen, wie sie in unseren Nahrungsmitteln enthalten sind. Neben Knoblauch, Zwiebeln, Lauch, diversen Kohlsorten insbesondere Broccoli und kleinen Früchten wie Erdbeeren, Himbeeren, Blaubeeren usw. empfiehlt Servan-Schreiber spezielle asiatische Pilze und sogar in Maßen dunkle Schokolade als Antikrebs-Lebensmittel.
Eine besondere Antikrebs-Wirkung zeigt sich speziell beim grünen Tee und bei dem Gewürz Kurkuma. Grüner Tee enthält das sog. EGCG (Epigallokatechin-3-Gallat), welches die Rezeptoren der Krebszelle blockiert, so dass ein „Vortäuschen“ einer Entzündung und das Signal zur Bildung neuer Blutgefäße unterbunden wird. Das Gewürz Kurkuma oder Gelbwurz (Hauptbestandteil der Gewürzmischung Curry) ist wohl der wirksamste Pflanzenstoff gegen Entzündungen. Besonders zu erwähnen sind die sog. synergetischen Effekte, also die Steigerung der Wirksamkeit durch Kombination von Wirkstoffen. Dies ist z. B. beim grünen Tee in Verbindung mit Soja der Fall bzw. bei Kurkuma in Kombination mit Pfeffer, wodurch die Kurkuma-Absorption im Körper sogar auf den fantastischen 2000-fachen Wert erhöht werden kann.
Nun fragt man sich mit Recht, weshalb es noch keine entsprechenden Studien mit diesen natürlichen Wirkstoffen wie bei analogen Medikamenten gibt. Auch hierfür gibt uns der Autor eine plausible Erklärung. Relevante Studien benötigen eine recht große Zahl von teilnehmenden Personen und verursachen daher sehr hohe Kosten. Während auf chemische Medikamente Patente vergeben werden, die ihre hohen Investitionskosten durch teure Vermarktung wieder einspielen, wäre eine entsprechende Studie mit natürlichen Wirkstoffen unrentabel, weil diese nicht patentfähig sind. Aus diesem Grunde müssen wir leider davon ausgehen, dass es vergleichbare Doppelblindstudien über die Wirksamkeit von natürlichen Wirkstoffen auch in Zukunft nicht geben wird. Trotzdem äußert der Autor Verständnis für die Schulmediziner, die sich mehr auf die Ergebnisse von entsprechenden Studien von Medikamenten stützen. In seinen Recherchen hat Servan-Schreiber aber zumindest einige Forschungsergebnisse aus Laborversuchen mit natürlichen Wirkstoffen angegeben.
Krebs ist multifaktoriell: Ob genetisch oder durch exogene Faktoren verursacht, dauert es i.a. Jahre, bis aus einer Zellanomalie ein nachweisbarer Krebstumor wird. Der Autor sieht beispielsweise im anhaltenden Negativstress eines existenziellen Ohnmachtsgefühls eine Grundlage für eine mögliche Krebsentwicklung. Servan-Schreiber berichtet aufgrund eigener fehlender Mutterbindung von fehlendem Urvertrauen und Verlustängsten in der Kindheit, die ihm auch im Erwachsenenleben noch als körperliches Leere- und Ohnmachtsgefühl spürbar waren und zur Anpassung und Unterdrückung seiner negativen Emotionen geführt habe.
Namhafte Psychotherapeuten haben bei vielen Krebspatienten übereinstimmend diese auch für Servan-Schreiber zutreffende psychische Befindlichkeit des sich als Kind nicht wirklich willkommen zu fühlen festgestellt. Um geliebt zu werden, versuchen diese Menschen so gut wie möglich den an sie gerichteten Erwartungen zu entsprechen, statt ihren eigenen Neigungen zu folgen. Sie werden selten oder nie wütend, gehen Konflikten aus dem Weg, verleugnen eigene Bedürfnisse und sichern sich emotional ihre Bedeutung im Beruf, in der Ehe, durch ihre Kinder o.ä.. Bricht ihnen dieser Bereich weg, kommen Ohnmacht, Verzweiflung oder Verlassenheit wieder zum Vorschein und stören ihr seelisches und körperliches Gleichgewicht empfindlich. Nicht die Belastungssituationen selbst begünstigen eine Krebsentwicklung, sondern das Ohnmachtsgefühl, welches mit einem Kontrollverlust der Selbstgestaltung des Lebens einhergeht.
Hat der Mensch den Eindruck, ihm entgleite das Leben oder es bereite ihm mehr Leiden als Freuden, setzt das menschliche Gehirn Stresshormone frei, die das Nervensystem aktivieren im Sinne einer Kampf- oder Fluchtreaktion, die auch auf die Zellen des Immunsystems wirken und entzündungsfördernde Substanzen freisetzen. Andererseits werden die natürlichen Killer-Zellen (NK-Zellen) blockiert und bleiben passiv, statt Viren oder anormale Zellen als Vorstufe des Krebses anzugreifen. Umgekehrt würde bestenfalls die eigene innere Ausgeglichenheit des Individuums möglicherweise das Wachstum der Zellen vermindern oder ihnen gar Einhalt gebieten können.
Ein weiterer wichtiger Antikrebs-Faktor, dem der Autor nachgeht, ist die regelmäßige körperliche Bewegung. Es gibt bereits genügend Studien, die diesen nachvollziehbaren Effekt beweisen. In dem vorliegenden Buch werden auch die physiologischen Wirkungen des regelmäßigen Sports auf den menschlichen Organismus dargestellt. Einige zentrale Vorgänge seien erwähnt: Bewegung reduziert das Fettgewebe, in welchem bevorzugt krebserregende Stoffe eingelagert sind. Fettdepots können zu Recht als Giftmüllhalde des Körpers bezeichnet werden, während körperliche Aktivität den menschlichen Organismus entgiftet. Weiterhin wird durch ausgewogenen Sport das hormonelle Gleichgewicht positiv beeinflußt, und schließlich wird durch Bewegung der Blutzuckerspiegel und somit die Insulinausschüttung gesenkt, und man schützt sich außerdem vor Stress.
Insgesamt gesehen ist das Buch sehr gehaltvoll und überzeugt auch durch seine wissenschaftliche Genauigkeit. Das Fazit von Servan-Schreiber lautet, dass es für ihn nach wie vor kein Wundermittel gegen Krebs gibt, dass er nach wie vor die Schulmedizin nicht in Frage stellt, aber dass es ganz konkrete Möglichkeiten gibt, seine natürlichen Abwehrkräfte zu maximieren, indem sich der Erkrankte um seinen physischen und mentalen Allgemeinzustand kümmert. Es steht außer Zweifel, dass diese für jeden zugänglichen Methoden das natürliche Potenzial der Selbstheilungskräfte stärken, was zahlreiche Studien unbestreitbar bewiesen haben. Patienten sind darauf angewiesen, dass ihre Bemühungen der Mobilisierung ihrer eigenen Selbstheilungskräfte anerkannt werden. Es steht z.B. eindeutig fest, dass durch Bewegung eine Chemotherapie besser vertragen werden kann. Dem Patienten geht es dadurch besser. Die Behandlungen schlagen besser an, Nebenwirkungen werden vermindert, Phasen der Remission dauern länger an und das Risiko eines Rückfalls wird verringert. Die leider noch oftmals vertretene Meinung: „Tun Sie ergänzend, was Sie wollen, es wird weder nützen noch schaden!“ ist wissenschaftlich falsch. Gegen diese Vorurteile geht Servan-Schreiber an, dafür hat er gekämpft.
Dem Autor war es letztendlich nicht vergönnt, seine eigene Krebserkrankung zu überwinden. Er starb im Jahr 2011 an seinem aggressiven Hirntumor. Die Überlebenschance beträgt in so einem Fall höchstens sechs Jahre. Servan-Schreiber überlebte trotz seiner relativen Jugendlichkeit um fast 20 Jahre, was er für sich als einen Beweis ansah, dass er selbst seinen Gesundheitszustand positiv während dieser Zeit beeinflußt hatte. Er hinterläßt uns einen sehr konkreten und wissenschaftlich fundierten Antikrebs-Ratgeber, den man jedem ans Herz legen kann.