Widerstand und Verdrängung – Ursprung und Neuinterpretation zweier Schlüsselbegriffe der Tiefenpsychologie
Autor*in: | Gerald Mackenthun |
---|---|
Verlag: | Psychosozial-Verlag, Gießen 2011, 469 Seiten |
Rezensent*in: | Klaus Hölzer |
Datum: | 04.05.2012 |
Widerstand und Verdrängung sind zentrale Begriffe der Psychoanalyse, die verstanden haben muss, wer ernsthaft Selbsterkenntnis betreiben will. Was beide Begriffe miteinander verbindet, ist die allgemeinmenschliche Eigenschaft, bittere Wahrheiten nicht sehen zu wollen. Wer will ernsthaft bestreiten, dass der Mensch dazu neigt, sein Augenmerk von Älterwerden und Tod, von zwischenmenschlichen Konflikten, rassischen und religiösen Auseinandersetzungen und von der Aufgabe der Verbesserung der bestehenden Verhältnisse im privaten und öffentlichen Bereich abzuwenden.
Es ist ein großes Verdienst des Autors, dass er sich zunächst gründlich mit dem psychoanalytischen Verstehen der Verdrängung und des Widerstandes aus der Sicht von Freud auseinandergesetzt hat, bevor er die Bedeutung und historische Weiterentwicklung dieser Termini in neueren tiefenpsychologischen Schulen, wie der Individualpsychologie und der Daseinsanalyse, aufzeigt. Auffällig ist, dass der Autor über lexikalische Aufarbeitungen, von denen es in der psychoanalytischen Literatur nicht wenige gibt, weit hinausgeht. Es ist nicht zu viel gesagt, dass Mackenthun auf etwa 400 Seiten seine Thematik systematisch und fundiert aus verschiedenen Perspektiven abhandelt. Er lässt sich dabei von einem Gedanken leiten, den bereits Freud aufgegriffen hatte, dass nämlich ein Verständnis der menschlichen Psyche nicht allein auf die Psychologie, sondern gleichzeitig auch auf Philosophie und Biologie angewiesen ist.
Mackenthun stellt sich bewusst in die Tradition der psychologischen Anthropologie, um die Bedeutung von Verdrängung und Widerstand für das Verständnis des Allgemeinmenschlichen aufzuzeigen. Mit anderen Worten: Über die Psychopathologie hinaus sucht er zu erforschen, welche Rolle Verdrängung und Widerstand im Leben jedes Menschen spielen. Als Gegenpole für Widerstand und Verdrängung schlägt Mackenthun Offenheit und Wahrhaftigkeit vor. Beide Begriffe spielen für ihn eine wichtige Rolle im Rahmen der Psychotherapie, die er sich ohne Einbindung in Ethik und philosophische Anthropologie nicht vorstellen kann.
Die vorliegende Arbeit ist ein Plädoyer für einen nüchternen Blick auf die unterschiedlichen tiefenpsychologischen Schulen, ihr Menschenbild, Ethikverständnis und ihre Therapieziele. Von den Erfahrungen ihrer psychotherapeutischen Praxis ausgehend, haben alle unterschiedlichen Richtungen wertvolle Erkenntnisse gewonnen, die schulenunabhängig von jedem Psychotherapeuten nutzbringend angewendet werden können. Den Streit zwischen den verschiedenen Therapieschulen hält Mackenthun deshalb für überflüssig. Der Autor, selber Psychotherapeut, schreibt verständlich und spricht neben Kollegen und philosophisch interessierten Geisteswissenschaftlern auch jeden an ernsthafter Selbsterforschung interessierten Zeitgenossen an.