


Fragen an einen Psychoanalytiker. Zur Situation eines unmöglichen Berufs
| Autor*in: | Janet Malcolm |
|---|---|
| Verlag: | Klett-Cotta, 2. Auflage Stuttgart 1992, 206 Seiten |
| Rezensent*in: | Gerald Mackenthun |
| Datum: | 03.07.2025 |

Janet Malcolm (1934–2021) war eine bekannte amerikanische Journalistin, die für die renommierte Zeitschrift The New Yorker schrieb und mehrere Bücher veröffentlichte. Ihr Buch Fragen an einen Psychoanalytiker erschien in den USA 1980 und wurde 1983 ins Deutsche übersetzt. Malcolm mischte sich 1981 in die Kontroverse um den skandalträchtigen Umgang des Psychoanalytikers Jeffrey Masson mit dem Freud-Archiv in New York ein und kritisierte Massons Fundamentalangriff auf Sigmund Freud.
Diese für Tiefenpsychologen hochinteressante Kontroverse um Freuds Verführungstheorie kann hier aus Platzgründen nicht aufgegriffen werden. Malcolm jedenfalls tauchte tief in die hermetische Welt der orthodoxen Psychoanalyse ein. Sie schrieb darüber im New Yorker und veröffentlichte 1984 das Buch In the Freud Archives. Masson strengte daraufhin einen Beleidigungsprozess gegen den New Yorker und Malcolm um 10 Millionen Dollar an, den der New Yorker letztlich gewann.
Eine Frucht dieser Beschäftigung ist Malcolms Buch zur Situation der amerikanischen Psychoanalyse um 1980. Das New Yorker Psychoanalytische Institut war damals die angesehenste Adresse der psychoanalytischen Bewegung, mit Leuchten wie Hartmann, Kris, Loewenstein, Jacobson, Greenacre und anderen internationalen Koryphäen. Malcolm führte Gespräch mit einigen der damals zentralen Figuren des Instituts. Es ist kein reiner Interviewband, vielmehr reicherte Malcolm ihre Gespräche an mit Reflexionen zu ihrer Lektüre einiger wichtiger psychoanalytischer Werke.
So entstand ein erfreulich flüssig zu lesendes Werk über zentrale psychoanalytische Probleme und Theorien wie beispielsweise die Stellung der Ausbildungskandidaten in den Instituten, Übertragung und Gegenübertragung (das Patient-Therapeut-Verhältnis) sowie über den wütenden Kampf gegen Neuerer wie Ferenczi, Kohut, Alexander und Anna Freud und vor allem über die Abstinenzregel für Analytiker.
Die Machthierarchien in den Instituten waren offenbar beinhart, die Patienten wurden mehr oder weniger als störrische Gegner betrachtet und die Rolle des Therapeuten als schweigende Mauer immer wieder verteidigt. Zugleich schienen die von Malcolm interviewten Analytiker selbst zutiefst verunsichert über ihre Rolle. Zu oft scheiterten ihre Analysen, auch, weil weder der Erfolg einer Analyse noch die „Analysierbarkeit“ eines Patienten definiert werden konnten. Die klassische Analyse bestand damals darin, dass der Therapeut „bloß dasitzt“ und darauf wartet, dass der Patient etwas von Belang sagt.
Das Bild, das Malcolm vom damaligen Flaggschiff der amerikanischen Psychoanalyse zeichnet, ist sowohl interessant als auch abstoßend. Die Autorin bewahrt ihren unvoreingenommenen Blick und lässt sich nicht einschüchtern. Sie schreibt für ein interessiertes Publikum, nicht für Fachleute. Die Probleme, mit denen sich die Psychoanalyse damals herumschlug, werden durch ihre Ergänzungen und Kommentare lebendig. Tiefenpsychologen beschäftigen sich noch heute mit den Fragen, auf die es schon damals keine abschließenden Antworten gab. Deshalb ist das Buch insbesondere für angehende Therapeuten heute noch äußerst erhellend und lesenswert. Der Leser erhält einen authentischen Einblick in das fragwürdige Treiben orthodoxer Analytiker, die sich gleichwohl redlich um Wahrheit bemühten.
Die Psychoanalyse hat sich seitdem grundlegend gewandelt. Die Neuerungen, die Anna Freud, Ferenczi, Alexander, Karen Horney, Erich Fromm oder Sullivan einführten, lösten sie aus dem engen freudschen Behandlungskorsett. Heute ist der Therapeut ein hilfreicher Begleiter des Patienten. Es ist die Frage, ob dieses gewandelte Verständnis von Therapie überhaupt noch den Namen „Psychoanalyse“ verdient. Die Antwort liegt auf der Hand, sie lautet: nein. Waren orthodoxe Analytiker damals schon Bewohner einer skurril anmutenden Sekte, so füllen sie heute nur noch eine winzige Nische im Gesundheitswesen. Über die Jahrzehnte geblieben ist die grundlegende Frage, die sich alle Heilberufler immer wieder stellen sollten: Was heilt in der Psychotherapie (und in der Medizin generell) am besten?