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Rezensionen Tiefenpsychologie
und Kulturanalyse

Tiefenpsychologie

Angst – Ein interdisziplinäres Handbuch

Autor*in:Koch, Lars (Hrsg.)
Verlag:J.B. Metzler Verlag, Stuttgart 2013, 396 Seiten
Rezensent*in:Gerhard Danzer
Datum:12.08.2013

Und neuerlich ein solides und weit ausgespanntes Handbuch aus dem Metzler-Verlag, dieses Mal zum Thema Angst. Dieser Begriff erlebte in den letzten Jahrzehnten eine wahre Hochkonjunktur, und dies nicht nur im Bereich von Psychiatrie, Psychotherapie und Psychopathologie. Darüber hinaus tritt der Terminus Angst etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts – seit den Ausführungen Sören Kierkegaards in seinem oft zitierten Buch Der Begriff Angst (1843) – in vielen anderen kulturellen, gesellschaftlichen und persönlich-individuellen Zusammenhängen auf.

Man denke nur an die German Angst, eine Bezeichnung, mit der vor allem unsere angelsächsischen Nachbarn eine Weile lang die kollektiv auftretenden und von anderen Nationen als übertrieben eingeschätzten Sorgen und Befürchtungen der Deutschen im Hinblick auf die Zukunft, das Waldsterben, den Klimawandel, BSE, die Vogelgrippe und die Apokalypse zu karikieren pflegten.

Angst ist daneben ein Begriff, der innerhalb der Philosophie eine regelrechte Karriere gemacht hat. Ausgehend von dem erwähnten Buch Kierkegaards fand das Thema Angst Eingang vor allem in die Schriften der Existenzphilosophen. Insbesondere Martin Heidegger, Karl Jaspers und Jean-Paul Sartre stellten die Angst als Anthropinon, also als eine Wesenseigentümlichkeit des Menschen, ins Zentrum ihrer jeweiligen philosophischen Überlegungen und Beschreibungen.

Einen anderen Zugang zum Topos Angst wählte die Psychologie und hier besonders die Tiefenpsychologie. Sigmund Freud in seiner Abhandlung Hemmung, Symptom und Angst (1926) rückte die Angst in den Mittelpunkt seiner psychopathologischen Theorien. Seiner Meinung nach fehlt Angst als auslösender Faktor oder als begleitendes Phänomen bei keiner der von ihm erörterten Neuroseformen, wobei er vor allem die Kastrationsangst (in einem sehr weiten und durchaus nicht nur konkretistischen Sinne gemeint) als wesentlich für das Angsterleben des Menschen ansah. Daneben machte er als weitere Quellen von Angst das menschliche Triebleben, die Strafangst-Vorstellungen im Hinblick auf das eigene Gewissen (Über-Ich) sowie Ängste und Befürchtungen infolge von realen Bedrohungen aus der Umwelt eines Individuums (sogenannte Real-Angst) namhaft.

Einen nochmals anderen tiefenpsychologischen Akzent des Angst-Verstehens formulierte die Neo-Psychoanalytikerin Karen Horney. Sie ging von der Hypothese aus, dass alle Menschen ein gewisses Maß an Grundangst in sich tragen. Diese sei Resultat unserer frühen Kindheit, in der wir von den Eltern und Erziehern fast vollständig abhängig waren und immer wieder erfahren mussten, dass unsere Bezugspersonen nicht stets dergestalt auf unsere Bedürfnisse reagierten, dass sie uns rundum befriedigen und damit angstfrei werden lassen konnten.

Im späteren Leben ängstigen wir uns, sobald wir direkt oder indirekt mit solchen oder ähnlichen Situationen der Abhängigkeit und Hilflosigkeit konfrontiert werden. Auf diese Zusammenhänge hatte vor Karen Horney bereits Alfred Adler hingewiesen. Bei ihm waren es die Momente der Ohnmacht und des realen oder imaginierten Minderwertigkeitsgefühls, welche für die Angst-Induktion verantwortlich zu machen sind.

Der Neo-Psychoanalytiker Erich Fromm wiederum betonte den veränderten gesellschaftlich-kulturellen Hintergrund seit der Renaissance, der bei vielen Individuen angstauslösend wirke. Bis zur Renaissance lebten die meisten Menschen in festen Verbünden und Strukturen. Sie waren zwar mehr oder minder unfrei, empfanden sich dabei jedoch als angstfrei. Die feudalen und religiösen Ordnungen, in die sie eingewoben waren, verschafften ihnen Orientierung und Lebensinhalt und gaben ihnen fixe Verhaltensregeln an die Hand. Die Entdeckung des Individuums und damit der eigenen Freiheit und Verantwortung des Einzelnen während und nach der Zeit der Renaissance entließ viele Menschen aus diesen vorgegebenen Strukturen und Regelwerken. Mit dem Plus an Freiheit aber fühlten sich nicht wenige überfordert: Sie wussten nun nicht so recht, wie und wozu sie ihre Freiheit nutzen konnten, und reagierten auf ihre Orientierungslosigkeit nicht selten mit Angst und Unsicherheit.

Neben diesen Gesichtspunkten wird in dem hier angezeigten Handbuch Angst eine breite Palette weiterer Aspekte – von der Biologie über die Ethnologie bis hin zur Literatur und Kunstgeschichte der Angst – abgehandelt. Bei der Fülle der Perspektiven ist es kein Wunder, wenn zum Beispiel in Bezug auf die psychologischen und psychopathologischen Dimensionen der Angst einige eben erwähnte Autoren mit ihren Theorien nicht oder nur marginal zur Sprache kommen. Das Buch zeichnet sich stattdessen durch seine Breite aus und ist all jenen, die sich mit Angst interdisziplinär befassen wollen, bestens zu empfehlen.