Der Geizige
Autoren: | Moliére |
---|---|
Inszenierung: | Hans-Otto-Theater Potsdam (Sommer 2022) |
Rezensent*in: | Gerhard Danzer |
Datum: | 12.06.2022 |
Weit über drei Jahrhunderte liegt es zurück, dass Molière Komödien wie Der Geizige geschrieben und zur Aufführung gebracht hat. Doch wenn wir seine Dramen heute auf der Bühne sehen, meint man bei manchen Textpassagen, einer unserer Zeitgenossen hätte diese Stücke verfasst – so psychologisch und anthropologisch vollgültig sind die Figuren gezeichnet, und so aktuell imponieren ihre existentiellen Erschütterungen und Konflikte.
Besonders eindrücklich hat Molière den Zusammenhang von Komik, Charakterstruktur und gesellschaftlich vermittelter Weltanschauung in der Gestalt des Harpagon im Drama Der Geizige (1668) demonstriert. Hier ist ein älterer und wohlhabender Mann von seiner Raffgier so sehr beherrscht, dass sie sein Lebensglück, die Beziehungen zu Verwandten und anderen Menschen sowie den schlichten Alltag völlig korrumpiert; für ihn zählt einzig seine Geldkassette.
Harpagon leidet an einer fixen Idee: Ihn hat der (vielen von uns nicht unbekannte) Wahn befallen, nicht mehr oder zumindest nichts mehr zu sein, sobald er nichts mehr hat. Besitz ist für ihn das letzte Bollwerk gegen die Widrigkeiten der Welt sowie gegen die Tatsache, dass sein Leben mit Altern und Tod verknüpft ist. Seine Schatulle bedeutet für ihn daher einen großen Schutz und eine umfassende Beruhigung. Als man ihm im Laufe des Dramas die Geldkassette stiehlt, ist er dem Zusammenbruch nahe:
Ach, mein armes Geld, mein liebes armes Geld, mein teurer Freund! Entrissen bist du mir worden, geraubt, entwendet und gestohlen! Und nun, da du mir genommen bist, habe ich meinen Halt und Trost, meine Freude verloren! Ohne dich ist mir das Leben verleidet! Nun heißt es von hinnen gehen, ich sterbe, ich bin bereits tot und liege unterm Rasen … Ins Publikum: Was tun denn alle die vielen Leute hier? Ich kann keinen Menschen anschauen, ohne ihn zu verdächtigen, und in jedem sehe ich den Dieb meiner Kassette. (Molière: Der Geizige (1688), in: Komödien, München 1993, S. 702f.)
Der alte Witwer Harpagon will noch einmal heiraten. Er hat sich eine junge Frau namens Marianne ausgesucht, in die allerdings bereits sein Sohn Cléante verliebt ist. Dessen Schwester Elise wird von Valère umworben, und beide Geschwister wissen nicht, wie sie ihrem Vater ihre jeweiligen Geliebten vorstellen sollen.
Als nun klar wird, dass Harpagon die deutlich jüngere Marianne zur Frau nehmen möchte, entspinnt sich ein heilloses Verwirrspiel, in dessen Verlauf Cléante seinem Vater die besagte Schatulle stiehlt. Nach einigem Hin und Her wird offenkundig, dass Marianne und Valère Geschwister sind, die nach einem Schiffsunglück getrennt wurden. Als dann noch Cléante dem Geizhals in Aussicht stellt, er erhalte sein Geld zurück, wenn er einer Ehe zwischen den Liebenden zustimmt, kann zum Schluss glücklich eine Doppelhochzeit gefeiert werden.
Das Potsdamer Hans-Otto-Theater, bekannt für die kühne Architektur seines Schauspielhauses, das manche sogar mit dem Opernhaus von Sidney vergleichen, gönnt sich im Sommer den Luxus, vor seinem festen Haus zur Havel hin eine Freilichtbühne zu errichten. Bei lauen Sommernächten kommen die Zuschauer so in den Genuss, neben ansprechenden Inszenierungen auch noch eine beeindruckende Naturkulisse genießen zu dürfen.
Dass Molières Der Geizige auf dieser Sommerbühne vor dem grandiosen Havel-Hintergrund gespielt wurde und wird, dramatisiert das existentielle Problem Harpagons doppelt und dreifach stark: Die immense Enge und das Ängstliche des alten Geizhalses und seine eindimensionale Strategie des Hortens vor der überbordenden Generosität der Natur – ein überaus pfiffiger Regie- und Bühnenbild-Einfall. Und weil sich darüber hinaus die Schauspieler den frisch übersetzten Text und die gestrafften Dialoge sehr punktgenau und witzig zu eigen gemacht haben, ist und war der Abend am Hans-Otto-Theater rundweg ein Genuss.