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Philosophie

Wie wäre es, ein Mensch zu sein?

Autor*in:Gerhard Danzer
Verlag:Springer Nature, Wiesbaden 2020, 341 Seiten
Rezensent*in:Gerald Mackenthun
Datum:28.02.2021

Die globalen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Probleme im 21. Jahrhundert scheinen enorm und kaum lösbar zu sein. Da kann es der Besänftigung dienen, sich ausgiebig dem Konzept der Humanität und des Humanismus zuzuwenden. Humanität heißt: das Menschliche, den Bedürfnissen des Menschen gewidmet. Dieses Buch des Potsdamer Arztes und Psychotherapeuten Gerhard Danzer beleuchtet die geisteswissenschaftliche Strömung des Humanismus unter drei Aspekten: aus der Perspektive des einzelnen Individuums, aus der Sicht von Welt- und Lebensanschauungen (Humanismus, Pazifismus, Agnostizismus) sowie aus dem Blickwinkel von Wissenschaft, Kunst und Philosophie; und es untersucht deren jeweiliges Humanisierungs-Potential. Wie wollen wir sinnvoller Weise leben, und was kann humanes Denken und Handeln dazu beitragen?

Der persönliche Beitrag kann darin bestehen, sich zu einer vollumfänglichen Person zu bilden, die ihr Potenzial zur Wohlfahrt der Mitmenschen entwickelt und einsetzt. Humanismus und Humanität sind seit 1808, als der Philosoph und evangelische Theologe Friedrich Niethammer den Begriff in die Pädagogik einführte, immer mit der Ausbildung der höheren Natur des Menschen verbunden. Die Einführung des Humanistischen Gymnasiums geht darauf zurück. „Personale Psychologie“ und Philosophie gehören Danzer zufolge zwingend dazu. Der Autor lässt keinen Zweifel daran, dass allein schon dies ein gewaltiges Programm ist, sowohl für den einzelnen Menschen, als auch für das Bildungssystem als ganzes.

Das zweite große Kapitel widmet sich den humanen Welt- und Lebensanschauungen. Danzer plädiert für ein Leben ohne Religion und ohne Krieg, also für Agnostizismus und Pazifismus. Die meist im Dissens gegeneinander stehenden religiösen Systeme erscheinen Danzer als eine Hauptursache von Ressentiment und blutigem Zwist. Die Kriegsvermeidung erhält somit einen zentralen Stellenwert im Humanismus. Was auch immer geschieht, unter einer kriegerischen Auseinandersetzung leiden alle Beteiligten und muss unbedingt vermieden werden.

Das dritte Hauptkapitel untersucht anhand mehrerer Beispiele die Rolle von Wissenschaftlern, Künstlern und Philosophen für eine Humanisierung der Gesellschaft. Das Zeitalter der Aufklärung, welches mit einer fundamentalen Religion- und Gotteskritik begann, bleibt dem Autor nachzueiferndes Vorbild. Zu den am häufigsten herangezogenen Autoren gehören der Individualpsychologe Alfred Adler, der Erfinder der Psychoanalyse Sigmund Freud, Johann Wolfgang von Goethe, der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche und der französische Philosoph Jean-Paul Sartre. Ihre Beiträge zu einem Verständnis der Welt im humanistischen Sinne werden ausführlich zitiert und gewürdigt. Auch sonst zeigt sich Autor Danzer souverän bewandert in der Kenntnis vieler Geistesgrößen aus dem 18., 19. und 20. Jahrhundert.

Immer wieder kommt er auf die Notwendigkeit der Entwicklung der Person (des Ich) in Bezug auf den Mitmenschen (das Du) zu sprechen, um im Wir eine gemeinschaftliche Synthese zu finden. Darin ist die Verantwortung für die Natur eingeschlossen. Die hier verhandelte Lebenskunst ist eingebettet in eine Weltanschauung, für die Mitgefühl und Verantwortungsempfinden für Natur und Kultur die wesentlichen Koordinaten des Denkens, Fühlens und Handelns bedeuten. Der schöne Schein der Kunst helfe dem Menschen über Enttäuschungen seines Daseins hinweg und tröste angesichts der existenziellen Härten und Frustrationen. Ein Personenregister schließt den lesenswerten Band ab, der geeignet ist, sich (erneut oder erstmals) der Gedankenwelt des Humanen und der Humanität zuzuwenden.

An diesem verdienstvollen Buch ist nur wenig zu bemängeln. Mit seiner kleinen Schrift (10 Punkt Schriftgröße auf 12 Punkt Zeilenabstand) ist es nur schwer zu lesen. Eine etwas größere Schrift würde gerade den älteren Lesern gut tun. Auch verwendet der Autor etwas zu häufig umständliche Aufzählungen in Klammern, und etwas einförmig nimmt er immer wieder etwas „ins Visier“.

Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Humanismus wäre notwendig. Es müsste für Humanisten eine höchst interessante Frage sein, warum nicht wenige Menschen bereitwillig ihren Machtgelüsten folgen und sich Vorurteilen und Ressentiments hingeben, mit oftmals grauenhaften Auswirkungen. Gibt es im Menschen anthropologische Bestrebungen, das Ich ins Zentrum und sich damit in Gegensatz zu den Anderen zu setzen? Die Dichotomie von Gemeinschaftsgefühl und (teils egoistischem) Anerkennungsbedürfnis wird vom Autor nicht behandelt. Im Rahmen des Pazifismus kommen die Aspekte der Selbstverteidigung, der Notwehr und des „gerechten Krieges“ etwas zu kurz. Hier scheint mir die Diskussion schon vor längerer Zeit über den Standpunkt des radikalen Pazifismus hinausgegangen zu sein. Schließlich die moderne Kunst: Kann die gewollte Zertrümmerung aller ästhetischen Formen den heutigen Menschen noch beruhigen und erbauen? Humanismus und Humanität bleiben ebenso wünschenswert wie gefährdet.