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Philosophie

Serpentinen: Die Gottesbeweise des Thomas von Aquin nach dem Zeitalter der Aufklärung

Autor*in:Sebastian Ostritsch
Verlag:Matthes & Seitz, Berlin 2025, 220 Seiten
Rezensent*in:Gerald Mackenthun
Datum:09.12.2025

Die Versuche, die Existenz Gottes zu beweisen, machen mich immer etwas traurig. Sie erscheinen mir so rührend unbeholfen und zeigen, dass sich die Bemühten von den allgemeinen Regeln der Logik verabschiedet haben oder diese niemals lernten, anzuwenden. Sebastian Ostritsch lehrt als Privatdozent an der Universität Heidelberg und ist Autor mehrerer philosophischer Studien und Sachbücher. Er vertritt die These, dass man sich bei der Formulierung eines Gottesbeweises nicht auf den Glauben, sondern auf die Vernunft berufen dürfe. Sein Buch ist eine allgemeine Einführung in die Philosophie und Theologie des Thomas von Aquin. Der Hauptteil des Buches besteht aus der Darlegung der fünf Wege, die Thomas zur Beweisführung der Existenz Gottes entwickelt hat. Ostritsch scheint die Meinung zu vertreten, dass Aquin das Rätsel Gottes gelöst habe. Dieser, so heißt es in Ostritschs Buch, hielt Gott für eine Tatsache der Vernunft. Stark vereinfacht ging es bei Aquin darum, aus einer endlichen Welt, wie sie den menschlichen Sinnen zugänglich ist, auf einen unendlichen Urheber zu schließen. Mit dem Beweis der Existenz Gottes sollte der Offenbarungsglaube gefestigt werden.
 
Die theologischen Anschauungen von Gott wandelten sich im Laufe der Jahrhunderte von der einer realen Person zu denen eines Gottes als abstrakter Größe, eines Konzepts oder Prinzips. Gott ist kein alter Mann mit Vollbart, heißt es bei Spinoza, sondern sei in jedem Detail der Natur enthalten. Theologen und Christen ordneten nicht nur einem personalisierten Gott, sondern auch diesen Prinzipien Attribute zu, die menschlich sind: Gott sei der „allmächtige, vollkommen gute, allwissende, zeitlose, immaterielle und unveränderliche Schöpfer“ eines endlichen Universums. Seine Existenz lässt sich weder aus den menschlichen Attributen noch aus seiner Eigenschaft als Schöpfer ableiten. Attribute und Rolle werden Gott als Person oder als Prinzip menschlicherseits zugesprochen.
 
Der Rolle als Schöpfer liegt ein sogenannter Kreationismus zugrunde. Dieser Gott hat etwas erbaut. Da das Universum aus Materie besteht, müsste Gott diese irgendwo anders hergenommen haben. Aber woher? Es müsste außerhalb des sichtbaren Universums eine weitere materielle Welt geben, die das Baumaterial des für den Menschen sichtbaren Universums hergegeben hat. Selbst als philosophische Spekulation kann man das nicht durchgehen lassen. Seit der Formulierung der Evolutionstheorie ist es nicht mehr nötig, einen Schöpfergott anzunehmen. Es gibt brauchbare Theorien über die Entstehung des Kosmos in seiner materiellen Entwicklung, über die Entstehung von Biologie auf der Erde und über die sich daraus ergebende Evolution des Menschen.
 
Ostritsch vertritt die These, es sei selbst ein Dogma, dass sich Gottesbeweise mit Immanuel Kant und Charles Darwin erledigt hätten. Dieses Dogma ist allerdings gut begründet und insofern keine unbewiesene Behauptung mehr, sondern eine wissenschaftliche Theorie, die bestätigt wurde. Indem Ostritsch den Verzicht auf Gottesbeweise als Dogma abfertigt, enthebt er sich der Mühe, seine eigene Behauptung, dass Gott existiert, zu beweisen. Die Existenz des Kosmos oder des Universums ist kein Beweis für das Sein Gottes.
 
Wenn es ein abstraktes „höchstes Wesen“ geben sollte, so müsste es vor ein paar Milliarden Jahren handlungsfähig gewesen sein, um sich das Universum dann selbst zu überlassen. Es müsste über physikalisch wirksame Kräfte verfügt haben, um aus einem Paralleluniversum Materie zu beziehen und das heute bekannte Universum zu erschaffen. Warum aber sollte ein solches „Wesen“ so etwas tun? Was ist sein Motiv? Dieses Wesen müsste wie das Ursprungsuniversum ebenso wie das uns bekannte Universum fast unendlich sein. Eine solche Entität ist für die Menschen schwer bis gar nicht vorstellbar. Dieses Wesen müsste noch größer, umfangreicher und materiell noch besser ausgestattet sein als das Ursprungs- und das bekannte Universum zusammen. Und warum sollte es ein Wesen sein, warum nicht mehrere oder unendlich viele?
 
Von dieser Idee aus führt kein Weg zum christlichen Gott der Dreifaltigkeit. Warum sollte dieser Gott mächtiger oder realer sein als der Gott des Mohammed im siebten Jahrhundert? Jesus hatte niemals von einem „unbewegten Beweger“ (Aristoteles) oder von Gott als biologischer Natur (Spinoza) gesprochen. Die Idee vom „Schöpfer“ war eine niemals durchdachte Überlegung. Ostritsch erzählt die Geschichte dieser unwissenschaftlichen Idee Aquins durchaus geistreich. So entsteht eine lohnende Geschichtsstunde. Einem Gottesbeweis kommt der Autor nicht näher.
 
Die fünf Beweiswege des Thomas von Aquin sollten im modernen Denken eigentlich ihre Überzeugungskraft verloren haben. Sie beruhen auf metaphysischen Voraussetzungen, die heute nicht mehr geteilt werden. Sie setzen jene aristotelische Physik voraus, in der jede Bewegung einen unbewegten Beweger und jede Kausalreihe eine erste Ursache benötigt. Seit David Hume und Kant gilt jedoch, dass aus der Erfahrung keine Notwendigkeit einer ersten Ursache abgeleitet werden kann. Kausalität ist eine Denkform, nicht eine Eigenschaft der Welt. Moderne Kosmologie beschreibt zudem ein Universum, das keine „erste Bewegung“ erkennen lässt.
 
Aquinus' Argumente führen selbst dann nicht zwingend zu einem personalen Gott, sondern lediglich zu einem hypothetischen „Erstprinzip“, dem man beliebig Eigenschaften zuordnen kann, die aber unbegründbar bleiben. In der zeitgenössischen Forschung – etwa in der „Stanford Encyclopedia of Philosophy“ – herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass Aquins Gottesbeweise zwar historisch höchst wirksam und intellektuell anspruchsvoll sind. Aber sie sind als zwingende Argumente für die Existenz Gottes nicht tragfähig. Die Kritik richtet sich dabei weniger gegen ihren theologischen Gehalt als gegen ihre epistemologischen Voraussetzungen, die in einer naturwissenschaftlich geprägten Welt nicht mehr akzeptiert werden.