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Philosophie

Falsche Propheten - Studien zur faschistischen Agitation

Autor*in:Leo Löwenthal
Verlag:Suhrkamp, Berlin 2021, 253 Seiten
Rezensent*in:Annette Schönherr
Datum:28.06.2024

Gegenstand des vor 75 Jahren verfassten und inzwischen neu aufgelegten Buches von Leo Löwenthal (1900-1993) ist die kritische Analyse von Techniken politischer Demagogie. Dieses Buch liest sich wie eine Kurzbeschreibung mancher Aspekte der politischen Kultur unserer Tage und gehört in die lange Reihe der Studien zum Autoritarismus. Dass dieser Klassiker der politischen Psychologie und Philosophie auch als Buch für unsere Gegenwart gelten kann, unterstreicht in ihrem Nachwort die Publizistin Carolin Emcke.

Leo Löwenthal war Literatur-Soziologe und befasste sich unter anderem mit der Frage, wie sich Klassenverhältnisse und sozialen Schichtungen in der bürgerlichen Literatur und damit in einem Hauptmedium des bürgerlichen Bewusstseins niederschlagen. 1982 erhielt er die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt und 1989 den Theodor-W.-Adorno-Preis. Obwohl Leo Löwenthal zu den Mitbegründern der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule gehört, wird er anders als ihre bekannteren Vertreter heute kaum erinnert - und das, obwohl seine Studien in die Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno Eingang gefunden haben. Anders als viele Rückkehrer blieb Löwenthal nach seiner erzwungenen Emigration weiterhin in den USA in Berkeley, wo er ab 1955 bis zu seiner Emeritierung eine Soziologie-Professur innehatte.

Bereits in den 30-er Jahren hatte Siegfried Kracauer eine (unveröffentlichte) Studie zur totalitären Propaganda vorgelegt, wobei er als Quellen vorrangig auf die Propaganda-Methoden deutscher und italienischer Faschisten zurückgriff. Im vorliegenden Werk richtete Löwenthal seinen soziologisch-analytischen Blick hingegen auf seine Exilheimat USA, um zu beschreiben, inwiefern Elemente politischer Agitation auch in einem freien Land wie den Vereinigten Staaten anzutreffen sind und wie sie wirken. 

Löwenthals Untersuchung zufolge musste er feststellen, dass sich in den USA ähnlich fragwürdige politische Akteure fanden wie in den faschistischen europäischen Ländern. Es wurde deutlich, dass auch eine stabil erscheinende Demokratie wie Amerika nicht vor demagogischer Propaganda und dem eventuellen Faschismus geschützt ist - ein Befund, der sich in den letzten Jahren in den USA auf erschreckende Weise bestätigt hat und weiter bestätigt. Löwenthal bezeichnete dieses Phänomen seinerzeit bereits als Malaise der Gegenwart. 

Mit den Falschen Propheten liegt eine eindringliche Analyse der politischen Agitation und Demagogie vor. Ein Hauptelement dieser Agitation wird bei Löwenthal als „negative Psychoanalyse“ bezeichnet: Demagogische Agitatoren zielen darauf ab, gesellschaftliche Probleme und die damit ausgelösten Affekte im Publikum zu steigern, anstatt sie (wie in einer gelingenden Psychotherapie) zu entschärfen. Das hat zur Folge, dass die Masse vom Agitator libidinös immer abhängiger wird und zuletzt darauf fixiert ist, emotional bis zur Exazerbation angestachelt zu werden. 

Als Ziel dieses demagogischen Agitierens beschrieb Löwenthal eine „glücklich machende Entzivilisierung“. Ein solcher Mechanismus ist aktuell bei politischen Agitatoren sowohl in den USA als auch in Europa und weltweit zu beobachten. Löwenthal erklärt in seinem Buch, warum die immer gleichen Phrasen und Phantasmen dieser Rattenfänger und Polit-Clowns  verfangen, und er legt dar, weshalb es für viele Menschen oftmals so schwer ist, ihre Demagogie zu durchschauen und ihnen auf die Schliche zu kommen. Des Weiteren warnt er vor der Unterschätzung solch agitatorischer Propaganda, da diese nicht selten die Vorstufe für Pogrome bedeutet.

Demokratien - das hat die Geschichte mehrfach bewiesen - können sich über die "freie Wahl" von Demagogen und Agitatoren schlussendlich selbst zerstören. Umso wichtiger sind die einzig hilfreichen Mittel gegen solche autodestruktiven Prozesse: Aufklärung und Bildungsarbeit nicht nur für einige wenige, sondern für die Vielen. Leo Löwenthal hat mit seiner Schrift überzeugend dazu beigetragen.