Albert Camus – Die Freiheit leben
Autor*in: | Martin Meyer |
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Verlag: | Carl Hanser-Verlag, München 2013, 368 Seiten |
Rezensent*in: | Gerald Mackenthun |
Datum: | 06.03.2023 |
Zum 100. Geburtstag von Albert Camus (1913–1960) veröffentlichte der langjährige Leiter des Feuilletons der Neuen Zürcher Zeitung, Martin Meyer, eine umfangreiche Werkbeschreibung und -analyse dieses bedeutenden französischen Philosophen. Seine Romane und Dramen, seine Essays zur Philosophie und Politik handeln von den großen Fragen der menschlichen Existenz: Tod, Freiheit, Schuld, Verantwortung. Zu seinen wichtigsten Werken zählen Die Pest, Der Fremde, Der Mythos des Sisyphos, Der Mensch in der Revolte und Der Fall. 1957 erhielt er für sein publizistisches Gesamtwerk den Nobelpreis für Literatur. Camus gilt als einer der bekanntesten und bedeutendsten französischen Autoren des 20. Jahrhunderts; für Martin Meyer ist Camus einer der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts überhaupt.
Diese Werkbiografie entstand aus langjähriger Camus-Lektüre, wobei Meyer ausführlich auch aus den seit 30 Jahren vorliegenden Tagebüchern Camus‘ schöpft. Die biographischen Hintergründe der Werke werden zu Beginn eines jeden neuen Kapitels kurz rekapituliert, bevor Meyer in kenntnisreiche Erläuterungen der Hauptwerke einsteigt. In dem chronologisch angeordneten Buch geht Camus den Weg von der Kritik am teleologischen Geschichtsdenken (Marxismus) über die menschliche Selbstvergöttlichung zur Konstellation des Absurden, in der er die Grundlagen der Freiheit, der Urteilsfähigkeit und der verantwortlichen Entscheidung sah. Camus‘ Kritik am Marxismus und Totalitarismus machte ihn bei den französischen Existenzialisten, insbesondere bei Jean-Paul Sartre, verhasst. Die teilweise brutalen intellektuellen Fehden ermüdeten ihn zunehmend, auch wegen einer hartnäckigen Lungenkrankheit.
Zu den besonderen Merkmalen des Autors gehört dessen Liebe der mediterranen, nordafrikanischen Landschaft und Kultur, die er hymnisch schilderte. Von seiner Herkunft her passte er so nie nach Saint-Germain-des-Prés. Nach einer Phase der Arbeitsunfähigkeit gelang ihm 1956 mit der Erzählung Der Fall noch einmal ein großes Werk. Allein diesem sperrigen Buch sind gut 30 Seiten gewidmet. Das Kapitel über Der Mensch in der Revolte umfasst, der Bedeutung entsprechend, fünfzig Seiten.
Meyers Werk zeichnet eine besondere Gründlichkeit aus. Es gibt nicht nur ausführliche und genaue Inhaltsangaben der Werke, sondern das Buch empfiehlt sich auch als „Lesekompass“, wie der Autor im Vorwort selbst schreibt. Die Tragik in Camus‘ Leben und zugleich die Absurdität des Lebens kumulierte in seinem Autounfalltod am 4. Januar 1960. Er hatte sich von seinem Verleger zu der Fahrt überreden lassen, obwohl er bereits eine Bahnfahrkarte nach Paris gelöst hatte. Camus war aber weit mehr als der Propagandist des Absurden. Er entwickelte eine Haltung gegen die vermeintliche Sinnlosigkeit der Welt, die er im Wesentlichen in der Kunst sah. Die Kunst ist stärker als das Absurde, sogar stärker als der Tod. Kunst und Freiheit sind bei ihm untrennbar verbunden. Daraus resultiert eine Unabhängigkeit des Künstlers gegen jede Ideologie. Seine Rede anlässlich der Entgegennahme des Nobelpreises für Literatur am 10. Dezember 1958 in Stockholm resümiert die Verbindung von Kunst und Freiheit.
Die Worte „Revolte“ und „das Absurde“ fielen in dieser programmatischen Rede freilich nicht. Camus definierte sich als Literat und Schriftsteller, nicht als Philosoph des Absurden. Die Revolte führt – anders als die Revolution – nicht zu einem Ziel. Das trennte Camus vom Marxismus und letztlich auch von Sartre; für beide (für den Marxismus wie auch zeitweise für Sartre) stellte die proletarische Aktion den höchsten Wert dar. Alle diese Facetten arbeitet Meyer akkurat heraus, so dass der Leser einen tiefen Einblick in das Werk Camus‘ erhält, was das Buch zu einer lohnens- und empfehlenswerten Lektüre macht.