Weiß
Autor*in: | Han Kang |
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Verlag: | Aufbauverlag, Berlin, 3. Auflage 2024, 151 Seiten |
Rezensent*in: | Marlies Frommknecht |
Datum: | 26.02.2025 |
Han Kang, die südkoreanische Schriftstellerin, die 2024 den Literaturnobelpreis erhielt, veröffentlichte dieses Buch schon 2016 in ihrem Heimatland. Auf Deutsch erschien es 2020. Zuvor war sie mit Gedichten und Kurzgeschichten und schließlich mit verschiedenen Romanen berühmt geworden.
Der Roman beginnt damit, dass die Autorin eine Liste weißer Dinge zusammenstellt, über die sie schreiben will. Zunächst ist sie allerdings unfähig dazu, da diese Dinge sie merkwürdig berühren. Aber sie weiß, dass es Balsam für sie wäre. Erst Monate später, nach einem Migräneanfall, kann sie mit dem Schreiben beginnen. Sie befindet sich zu dieser Zeit in einer ihr fremden winterlichen Stadt, die im Krieg zerbombt und danach wieder aufgebaut worden ist. Ein Denkmal erinnert daran. In ihrer isolierten Situation konfrontiert sie sich nun mit der Vergangenheit.
Die Eltern lebten in einem abgelegenen Dorf, in das der Vater als Lehrer versetzt worden ist. Die Mutter ist hochschwanger. Zwei Monate vor dem Geburtstermin platzte plötzlich die Fruchtblase. Weder der Vater noch ein Telefon sind erreichbar. Ganz allein und auf sich gestellt bringt die Mutter das Kind zur Welt, ein Mädchen, sehr hübsch, die Gesichtszüge voll entwickelt. Für die Mutter unvergesslich ist der Moment, in dem das Baby seine Augen öffnete und in ihre Richtung blickt. Und sie betet vor sich hin. Stirb nicht, bitte stirb nicht. Aber das Kind stirbt nach zwei Stunden.
Während ihrer ganzen Kindheit ist die Autorin mit diesem traumatischen Geschehen konfrontiert, das die Mutter immer wieder erinnerte. Die Autorin verdeutlicht sich, dass sie nicht leben würde, wäre dieses Kind (und noch ein weiteres, das unmittelbar nach einer Frühgeburt starb) nicht gestorben. Sie darf an ihrer statt leben. Sie fragt sich, wie es wäre, eine ältere Schwester zu haben. Die weißen Dinge – Muttermilch, Windel, Babykleidchen stehen für das Leben bestimmende Ereignis; aber Nebel, Schnee, Reif, Gischt, Licht, weißes Haar, ein Spitzenvorhang, ein weißer Hund, weiße Vögel u.a. - die sie beschreibt, sind gewissermaßen Geschenke für die Schwester. Ich wollte dir nur reine Dinge zeigen. Weiße Dinge, die von Reinheit zeugen. Und weiter schreibt sie: Ich glaube, dass dies die besten Worte für einen Abschied sind. Bitte stirb nicht.Lebe. Am Ende ihres Romans verspricht Han Kang: In allen weißen Dingen werde ich dich spüren und für dich weiteratmen. So kann sie weiterleben.
Indem sie die weißen und vergänglichen Dinge beschreibt, zeigt sie und verarbeitet sie ihre Trauer. Es ist jedoch nicht nur die Trauer über die tote Schwester, sondern es schwingt auch die Trauer über die Gewaltsamkeiten des Krieges mit. Zugleich macht sie auf unsere Vergänglichkeit und auf die aller Dinge aufmerksam.
Der Aufbau des Buches ist sehr eigen. Es sind kürzere oder längere Texte, manchmal in Gedichtform, unterbrochen von Fotos weißer Dinge. Das ganze ist wie ein Mosaik, das Innen- und Außenwelt verknüpft. Dies gelingt ihr in einer dichten, poetischen und bilderreichen Sprache, die dennoch etwas Schwebendes und Leichtes hat. Han Kang hat mit Weiß ein sehr berührendes, ein sehr persönliches Buch geschrieben.