49
Rezensionen
ITGG Berlin - Rezensionen
#7C9CA4
#C66A13

Kunst & Literatur

Shakespeare – Jahrbuch für Literatur und Psychoanalyse / Nietzsche – Jahrbuch für Literatur und Psychoanalyse

Autor*in:Dominic Angeloch, Astrid Lange-Kirchheim & Carl Pietzcker (Hrsg.)
Verlag:Königshausen & Neumann, Würzburg 2018, 519 Seiten
Rezensent*in:Gerhard Danzer
Datum:09.07.2020

Seit den frühen Anfängen der Psychoanalyse gibt es die Tradition ihrer Anwendung auf literarische Themen, wobei es sich um Psychographien von Dichtern und Schriftstellern ebenso wie um die psychoanalytische Interpretation ihrer literarischen Kunstwerke handeln konnte. Sigmund Freud selbst initiierte diese Tradition mit Texten über zum Beispiel Goethe (Eine Kindheitserinnerung aus Dichtung und Wahrheit, 1917), Der Dichter und das Phantasieren (1908) oder Der Wahn und die Träume in W. Jensens Gradiva(1907).

Viele Schüler und Nachfolger Freuds übernahmen diese Tradition und bauten sie mit teilweise monumentalen Psychographien und/oder Text-Interpretationen psychoanalytischer Couleur aus. Man denke nur an Otto Rank und dessen Schriften (Der Künstler, 1907; Das Inzestmotiv in Dichtung und Sage, 1912; Die Bedeutung der Psychoanalyse für die Geisteswissenschaften, 1913; Art and Artist, 1932) oder an Kurt Eisslers Goethe – Eine psychoanalytische Studie (1963, deutsch 1983-85). Seit den frühen 80er Jahren des letzten Jahrhunderts treffen sich in Freiburg im Breisgau jährlich Psychoanalytiker, Literaturwissenschaftler und Autoren, um an diese Tradition anzuschließen. Zu ihnen zählten und zählen etwa Johannes Cremerius, Walter Schönau, Peter Dettmering, Wolfgang Hildesheimer, Gaetano Benedetti, Alfred Lorenzer, Hartmut Böhme, Jörg Drews, Tilman Moser, Mario Erdheim und viele weitere. Die Treffen stehen in der Regel unter einem klinischen oder literarischen Motto, und die Ergebnisse der einzelnen Vorträge und Debatten werden seither jeweils in einem Jahrbuch für Literatur und Psychoanalyse im Verlag Königshausen & Neumann publiziert.

Die beiden hier angezeigten Bände handeln schwerpunktmäßig von Shakespeare (Band 37, 2018) und Nietzsche (Band 39, 2020). Nicht nur die imposante Zahl der Druckseiten, sondern auch die Breite der darin erörterten Themen spiegelt die große Ernsthaftigkeit wider, mit der in Freiburg die psychoanalytische Literaturinterpretation und Literatur-Kritik betrieben wird. So kommen im Shakespeare-Band diverse Dramen des englischen Autors (Othello; Richard III.; King Lear; Hamlet; Der Widerspenstigen Zähmung; Was ihr wollt) ausführlich unter psychoanalytischen Kautelen zu Wort. Und im Nietzsche-Band finden sich so interessante Aufsätze wie die Nietzsche-Lektüren bei Thomas Mann oder Zum Wissenschaftsbegriff Nietzsches und Freuds.

Wer einen Einblick in die aktuelle psychoanalytische Literaturkritik und Literaturinterpretation gewinnen möchte, kann dies mühelos, indem er in den inzwischen beinahe 40 Bänden des Jahrbuchs für Literatur und Psychoanalyse blättert und sich von den diversen Schwerpunktthemen anmuten und inspirieren lässt.