Roman mit Kokain
Autor*in: | M. Agejew |
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Verlag: | Manesse-Verlag, Zürich 2012, 256 Seiten |
Rezensent*in: | Jutta Riester |
Datum: | 26.07.2013 |
Agejew hieß in Wirklichkeit Mark Levi (1898-1973, Übersetzer, Geheimagent, Universitätsdozent), und die deutsche Neu-Übersetzung des erstmalig 1936 in Paris erschienenen Werkes könnte auch heißen Liebschaft mit Kokain, denn „Roman“ bedeutet im Russischen auch „Romanze“ oder „Liebschaft“. Im Nachwort zum Roman spricht der Kommentator davon, dass Agejew eine Zeitlang für Nabokow gehalten wurde und ihn wahrscheinlich gründlich gelesen hatte.
Meine eigenen Assoziationen wanderten zu einem früheren russischen Schriftsteller, zu Dostojewski; auch auf ihn scheint mir sein Roman ein Zitat. Sein Protagonist Wadim Maslennikow kommt mir vor wie ein Wiedergänger des namenlosen Kellerlochmenschen, durchsetzt mit Aspekten Rodion Raskolnikows und des Spielers Alexej Iwanowitsch. Die Frau, in die sich Maslennikow verliebt, heißt Sonja, so wie die unendlich geduldige und gütige und mit natürlicher Anmut und Weisheit ausgestattete Sonja in Schuld und Sühne. Beide Sonjas handeln bei dieser positiven Grundausstrahlung nicht nach gesellschaftlich moralischen Erwartungen oder Leitbildern, Raskolnikows Sonja ist seit kurzem Prostituierte, die Sonja im Roman mit Kokain ist verheiratet und lässt sich trotzdem mit Maslennikow ein.
Was ist nun das Charakteristische sowohl an Rodion Raskolnikow als auch an dem „paradoxen Menschen“ aus dem Keller oder an Wadim Maslennikow? Allesamt sind sie einsam bis zur Menschenscheu und in ihrer Beziehungsfähigkeit hochgradig gestört. Vielleicht als eine verstiegene Reaktion auf dieses immense Alleinsein erfolgt die „Lust am Widerlichen“ und die selbstzerstörerische Marotte, sich die schönen Lebensmomente selbst zu zerstören.
Obwohl alle diese Figuren durchaus als fiese Typen dastehen, gewinnen sie die Sympathie des Lesers. Der Leser wird angezogen, hineingezogen und mitverwickelt (wie es Manès Sperber einmal in Bezug auf Dostojewski ausgedrückt hat). Intuitiv haben die jeweiligen Dichter erkannt, dass das Problematisch auch im Leser steckt, zumindest in seinen Gedanken: das Rachsüchtige des „paradoxen Menschen“ aus dem Kellerloch, das Vermessene und Verstiegene Raskolnikows und das brutal Paschahafte Wadim Maslennikows. Mark Levi alias M. Agejew hat die menschliche Seele damit ähnlich tiefgründig geschildert wie Dostojewski.