49
Rezensionen
ITGG Berlin - Rezensionen
#7C9CA4
#C66A13

Biographien

Ich brauche einen Liebhaber, der mich am Denken hindert – Katherine Mansfield - Eine Biografie

Autor*in:Michaela Karl
Verlag:btb-Verlag, München 2023, 425 Seiten
Rezensent*in:Christine Bach
Datum:13.11.2023

Die neuseeländische Schriftstellerin Katherine Mansfield (1888-1923) hatte ein kurzes Leben. Mit nur 34 Jahren erlag sie ihrer Tuberkulose-Erkrankung. Schon zu Lebzeiten ging von ihr etwas Widersprüchliches aus, was sich auf ihre Person, aber auch auf ihr Schreiben bezog. Ihre Direktheit irritierte ihr Gegenüber zuweilen sehr. Inzwischen ist die Literatur, die über sie geschrieben wurde, um ein Vielfaches umfänglicher als ihr eigenes Werk. Immer wieder haben sich Biografinnen, Literatur­studierende und Kritiker bemüht, psychologische Profile zu entwerfen, Deutungen und Interpretationen anzubieten, um dem Menschen Katherine Mansfield und ihrer Dichtung näherzukommen.

Katherine Mansfield wählte als Form ihres Ausdrucks die Kurzgeschichte. Bis heute wird sie in der literaturwissenschaftlichen Rezeption als eine Wegbereiterin und Meisterin dieses Genres angesehen. Ihre etwa 80 Erzählungen und einige weitere Erzählfragmente wurden in verschiedenen Sammelbänden veröffentlicht, daneben erschienen zahlreiche Briefe und ihre umfassenden Tagebucheintragungen. Sie hat außerdem Gedichte geschrieben und war als Kritikerin für Literaturzeitschriften tätig.

Die Art ihres Schreibens war für das 20. Jahrhundert neu und ungewohnt. Der Leser wird in den Texten von Mansfield unmittelbar in eine beliebige Alltagssituation der handelnden Personen hineingezogen. Es gibt weder die klassische Einführung der Charaktere noch der Szenerie. Es sind kurz aneinander gereihte Momentaufnahmen, die gleichsam mikroskopisch vergrößert ein Stück Leben sichtbar machen. In den 1920er Jahren wurde diese Erzählform in der angelsächsischen Literatur als slice-of-life-Stil benannt. Dabei zeichnet die Autorin ihre Figuren mit schonungsloser und durchdringender Intensität. Es sind zum einen scharfe Satiren, voller Witz bis hin zur Boshaftigkeit, aber auch berührende Schilderungen jedweder menschlicher Regungen. Von diesen Kurzgeschichten geht eine eigenartige Anziehung aus: Sie fordern den Leser heraus und wirken nicht selten verstörend. Dabei schildert Mansfield ihre Figuren nie von oben herab, sondern mit großem Einfühlungsvermögen, ausgeprägtem Gespür für den Augenblick und dem Mut, brisante Inhalte literarisch aufzugreifen.

Im Oktober dieses Jahres ist im btb-Verlag eine neue Biografie über Katherine Mansfield erschienen. Die Autorin Michaela Karl, Jahrgang 1971, ist Politikwissenschaftlerin und Schriftstellerin; sie hat an der FU Berlin mit einer Arbeit über Rudi Dutschke promoviert. Neben Texten über historische Themen, u.a. über die Geschichte der Frauenbewegung, widmet sie sich den Lebensläufen außergewöhnlicher Frauen wie beispielsweise der Schriftstellerin Dorothy Parker oder der Tänzerin Isadora Duncan. Im vorliegenden Band gilt ihre Aufmerksamkeit Katherine Mansfield, die für ihren Lebenshunger und ihren scharfen Verstand bekannt war.

Kathleen Mansfield Beauchamp, die sich später nach ihrer Großmutter mütterlicherseits Katherine Mansfield nannte, wurde 1888 in der neuseeländischen Hauptstadt Wellington geboren. Sie wuchs als dritte Tochter von vier Schwestern und einem Bruder in einer wohlhabenden Familie auf. Der Vater war nach einigen beruflichen Zwischenstationen zum Direktor der Bank von Neuseeland aufgestiegen. Mit 15 Jahren wurde Katherine mit ihren beiden älteren Schwestern nach London geschickt, um am Queen’s College ihre Schulbildung fortzusetzen. Nach einigem Hin und Her tauchte Katherine Mansfield in ein bohèmehaftes Leben ein und hatte mit der Veröffentlichung von ersten Kurzgeschichten Erfolg.

Was macht Michaela Karls Biografie so lesenswert, auch wenn der eine oder andere biografische Text über Katherine Mansfield schon länger bekannt ist? Mich hat die ansprechende Erzählweise der Autorin, vor allem aber der kulturgeschichtliche Hintergrund eingenommen, vor dem sie die Menschen in ihren Beschreibungen lebendig werden lässt. Da berichtet sie beispielsweise über das renommierte, 1848 gegründete Queen‘s College. Die heute noch existierende Mädchenschule galt als weltweit eine der ersten Einrichtungen, an der Frauen sich für eine akademische Weiterbildung qualifizieren konnten. Dabei gab es weder eine strenge Disziplin noch eine Schuluniform. Mehrmals wöchentlich wurden an den Abenden Vorträge von namhaften Wissenschaftlern und Intellektuellen angeboten, an denen auch Externe teilnehmen konnten. Es herrschte eine lebhafte Diskussionskultur, und Katherine war besonders von der „herrlichen Bibliothek“ angetan.

An anderer Stelle wird beschrieben, wie der Kunstkritiker Roger Fry im November 1910 eine bahnbrechende Ausstellung über den Postimpressionismus nach London brachte. Werke von Cezanne, van Gogh, Gauguin und Picasso wurden damals zum ersten Mal in England gezeigt und erfuhren in der Presse ein teilweise vernichtend ablehnendes Urteil. Katherine Mansfield jedoch war von der Ausstellung völlig fasziniert und notierte in ihrem Tagebuch etwa über van Goghs Sonnenblumen: „Das Bild schien mir etwas zu enthüllen, das ich nicht wahrgenommen hatte, bevor ich es sah. Danach lebte es in mir. Noch immer - & ein anderes von einem Seekapitän mit einer flachen Mütze. Sie lehrten mich etwas über das Schreiben, was seltsam war – eine Art Freiheit – oder besser, ein Sich-Freischütteln.“

Auch wenn Michaela Karl von der Entstehungsgeschichte und den Mitgliedern der legendären Bloomsbury Group erzählt, geschieht dies auf eine Art, die neugierig macht. Katherine Mansfield stieß über D.H. Lawrence auf den Bloomsbury-Kreis. Von den meisten Mitgliedern wurde sie anfangs als eine exotisch anmutende junge Frau aus den Kolonien betrachtet, die man nicht so recht ernst nehmen konnte. Davon ließ sich Mansfield nicht entmutigen und hielt weiter an ihrem Vorhaben fest, eine brillante Schriftstellerin werden zu wollen. In einem Tagebucheintrag notierte Virginia Woolf über ihre Beziehung zu Katherine Mansfield, dass es ein gewisses Einverständnis mit ihr gebe und ein Gefühl der Ähnlichkeit: „Ich kann offen mit ihr sprechen;" und „mit niemand sonst“ könne sie „derart schwerelos über das Schreiben sprechen."

Michaela Karl möchte eigenen Angaben zufolge mit ihrer Biografie Katherine Mansfield von jener Opfer- und Krankenrolle befreien, auf die sie in der Vergangenheit wiederholt festgelegt wurde. Für die Biografin war sie nicht eine überwiegend komplizierte und kranke Person, sondern vor allem eine mutige, willensstarke und humorvolle Frau, die stets darauf bedacht war, ihr Leben selbstbestimmt zu führen. Und als eben eine solche Gestalt der literarischen Moderne in Europa erscheint Mansfield auch in dieser lesenswerten Beschreibung ihrer Lebensgeschichte.